Montag, 11. September 2017

{Rezension} Imani - Mia Couto

Imani
Mia Couto

Mulheres de Cinza / übersetzt von Karin von Schweder-Schreiner

Band 1 der Trilogie um die letzten Jahre des Ngungunyane
Geschichtlicher Roman
288 Seiten

Verlag: Unionsverlag
Hardcover € 22
ebook € 19,99

Erscheinungsdatum: 24. Juli 2017

Der Unterschied zwischen Krieg und Frieden ist dieser: Im Krieg sind es die Armen, die als Erste getötet werden; im Frieden sind es die Armen, die als Erste sterben. Für uns Frauen gibt es noch einen anderen Unterschied: Im Krieg werden wir von Unbekannten vergewaltigt.



Der Klappentext

 

Das Mädchen Imani muss den portugiesischen Offizier Germano unterstützen, weil sie die Sprache und die Sitten der Europäer kennt. Der Offizier soll in Mosambik den Vormarsch des großen Herrschers Ngungunyane gegen die Kolonialherren aufhalten. Schon bald wird Imani für ihn unentbehrlich, und zwischen den beiden entwickelt sich eine vorsichtige Nähe. Imanis Dorf aber steht zwischen den Fronten: Ihre Brüder kämpfen auf unterschiedlichen Seiten, während Onkel und Vater um die Vorherrschaft streiten. Das Land wird vom Krieg der Männer heimgesucht, zu einer Zeit, in der das Wort einer Frau nicht zählt. Doch die Frauen ihrer Familie nutzen eigene Mächte, um die Pfade der Männer zu lenken.

Jahrelang hat Mia Couto Erinnerungen und Geschichten für diesen großen, vielstimmigen Roman gesammelt. Er erweckt eine ganze Epoche, ihre Menschen und Dramen zu neuem Leben.



Meine Meinung

 

 

In diesem Roman erzählen Imani und der portugiesische Sargento Germano de Melo einen Ausschnitt aus ihrem Leben in Mosambik 1894/95. Imani in der Ich-Perspektive, Germano in Form von Briefen, die er an seinen Oberen schreibt. Schon von der ersten Seite an, übt dieser Roman eine mächtige Sogwirkung auf den Leser aus und man kann nicht anders, als sich in das damalige Mosambik fallen zu lassen und zu lauschen, wenn Imani uns ihr Leben, ihre Kultur, ihre Sichtweise näher bringt. Überschattet wird all das von den Unruhen und Kämpfen um die Vorherrschaft, die der damalige König der Provinz Gaza, Ngungunyane, mit der portugiesischen Obrigkeit ausfechtet.

Ngungunyane, König des Gaza

Imani ist ein junges Mädchen und vom Autor sehr authentisch beschrieben. Sie ist gutherzig, sympathisch und versucht, sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten.

Mich fürchteten die Männer und die Frauen. Die Männer fürchteten mich, weil ich eine Frau war. Die verheirateten Frauen fürchteten mich, weil ich jung und schön war. Die unverheirateten Frauen beneideten mich, weil ich zu der Welt der Weißen gehörte. Ich war, was sie niemals würden sein können.

Doch auch für Imani ist es nicht immer leicht, ein Kind zweier Welten, zweier Kulturen zu sein. Sie fühlt sich oft nirgends dazugehörig und fehl am Platz, was ich gut nachvollziehen konnte. Denn geht es nicht allen jungen Menschen an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben so? Wie viel schwerer muss diese Emotion sich in einem regen, wenn man tatsächlich auf zwei Drahtseilen zugleich balancieren muss?

Mit Germano hatte ich ab und an meine Probleme, da er zeitweise ein wenig schwierig ist und seine Ansichten mich manches Mal geärgert haben. Aber auch ihn habe ich in mein Herz geschlossen, als ich merkte, dass Imani es längst getan hat.

Die Nebenfiguren wie etwa Imanis Eltern, ihre beiden Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten und auf die Weise auch die zwei Herzen, die in Imanis Brust schlagen, verkörpern, waren gut ausgebaut. Imanis Großvater Tsangatelo hat es mir ebenfalls angetan. Ich verehre seinen Mut, sich aus dem Leben zu reißen, dass ihm nicht mehr behagt, und ein gänzlich neues zu beginnen. Man kann mutmaßen, ob sein jetziger Wegbegleiter aus Einsamkeit erwählt wurde oder ob Tsangatelo schon immer ein Gefangener war, der nun ausgebrochen ist und sein Glück findet. Ich bevorzuge letztere Theorie.

Die Sprache ist sehr bildhaft und metaphernlastig, was auch Germano einmal anmerkt, als er nicht begreift, was Imani ihm sagen will. Es sind Kleinigkeiten, die einen zum Schmunzeln bringen, denn der Rest des Romans ist eher von Traurigkeit überschattet, doch da ist noch so viel mehr Gefühl zwischen den Zeilen. Es geht um Krieg und Frieden, um Leben und Tod und alles dazwischen. Dabei verliert der Roman jedoch nie an Unterhaltungswert. Er kommt nicht richtend oder belehrend daher, sondern einfach berührend. Mia Couto hat ein Händchen (Federchen) dafür, große Dinge zu Papier zu bringen. Wie die Musik der Marimbas ist 'Imani' eine Ballade über die Schönheit Afrikas, ein Apell gegen die Zerstörung und das Verderben, das wir in unserer Besitz- und Machtgier über die Natur bringen.



Was es sonst noch zu sagen gibt

 

Eine Erwähnung, die nichts mit dem Meisterwerk an sich zu tun hat, muss ich hier tun: Ich las ein Interview, das mich etwas verärgert hat. Der Interviewer ging darin nur auf den großen Ngungunyane ein und obwohl ich verstehe, dass diese bedeutende Figur der Geschichte einen am meisten reizt, geht es doch in Mia Coutos Roman um so vieles mehr - Zerstörung, Ausbeutung, Rassismus. Vor allem auch um Imani und die Stellung der Frau in jener Zeit und Kultur, in der die Geschichte ihren Platz findet. So empfand ich die Fragen als ein Herabsetzen der Leiden der im Interview so betitelten 'kleinen Leute' und die Nicht-Erwähnung Imanis sogar als ein Vorbeischrammen an einem großen, wichtigen Thema des Buches, das Mia Couto so fabelhaft umgesetzt hat. Immerhin ist sie die Frau, die diesem Buch im Deutschen ihren Namen gibt. Und auch der Autor selbst wählte als Titel 'Mulheres de Cinza' - Aschefrauen, Frauen von/aus Asche. Daher kann ich die komplette Nichtbeachtung überhaupt nicht nachvollziehen.

Wer das Interview selbst nachlesen möchte, kann das *hier* tun.

Jedenfalls hoffe ich auf eine baldige Übersetzung der weiteren Bände der Reihe und bin gespannt, ob es mit Imani und Germano (sowie der kleinen Gruppe um sie herum) weitergeht oder ob Mia Couto einen anderen Blickwinkel gewählt hat. Ich bleibe neugierig und freue mich auf weitere Werke.


Ein paar Worte zum Autor



Mia Couto, geboren 1955 als Sohn portugiesischer Einwanderer in Beira, Mosambik, gehört zu den herausragenden Schriftstellern des portugiesischsprachigen Afrika. Mehrere Jahre war er als Journalist und Chefredakteur der Zeitungen Tempo und Notícias de Maputo tätig. Seit 1983 veröffentlicht er Romane, Erzählungen und Gedichte. Für sein Werk wurde Couto mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem Prémio Camões und mit dem renommierten Neustadt-Literaturpreis 2014. Mia Couto lebt in Maputo.

Sein bürgerlicher Name lautet António Emílio Leite Couto. Sein Künstlername Mia stammt von seinem Bruder, der als Kleinkind den Namen „Emílio“ nicht aussprechen konnte.




Bewertung und mein Fazit zu 'Imani' von Mia Couto

 

Ein Roman, den man einfach gelesen haben muss, wenn man kein Meisterwerk der Literatur und Geschichte versäumen möchte. Wie die Musik der Marimbas ist 'Imani' eine Ballade über die Schönheit Afrikas, ein Apell gegen die Zerstörung und das Verderben, das wir in unserer Besitz- und Machtgier über die Natur bringen. Ein wundervoller Roman über Krieg und Frieden, Unterdrückung und Freiheit, Liebe und Abneigung geschrieben von der Feder eines wahren Meisters.


Ein Meisterwerk, das man nicht aus den Händen legen kann und auch gar nicht soll, ehe man es zu Ende gelesen hat!



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