Donnerstag, 21. September 2017

{Rezension} Der Nebelmann - Donato Carrisi

Der Nebelmann
Donato Carrisi

La ragazza nella nebbia / übersetzt von Karin Diemerling


Thriller / Kriminalroman
336 Seiten

Verlag: Atrium
Hardcover € 20,00
ebook € 15,99

Erscheinungsdatum: 4. August 2017

"Jeder ist gern berühmt, auch und gerade diejenigen, die es nicht zugeben wollen."





Der Klappentext

 

In einer eisigen Winternacht irrt der Sonderermittler Vogel mit blutbesudeltem Hemd durch die nebelverhangenen Wälder am Rand eines Dorfes. Vogel war vor einigen Wochen in die Alpen gereist, um den Verbleib eines vermissten Mädchens zu klären. Dreißig Jahre zuvor waren mehrere Kinder in den umliegenden Wäldern verschwunden, und es besteht der dringende Verdacht, dass der Mörder von damals – der im Dorf nur »Der Nebelmann« genannt wird – wieder aktiv geworden ist.
Als Vogel aufgegriffen wird, gibt er an, einen Unfall gehabt zu haben, doch das Blut an seinem Hemd stammt nicht von ihm. Ein Psychiater wird gerufen, um ihn zu befragen. Vogel beginnt zu erzählen – und sein Bericht ist ungeheuerlich.



Meine Meinung

 

Donato Carrisi hatte mich von der ersten Seite an. Der Schreibstil ist einfach, aber bildlich und einprägsam. Die Art, Personen - insbesondere Frauen - zu beschreiben, war etwas klischee- bzw. schablonenhaft, aber man wurde ausgiebig dafür entschädigt. Der Autor sorgt für eine kalte, düstere Atmosphäre in dem Alpenort Avechot, in dem inmitten von religiösem, bedrückendem Fanatismus und Bergbau, der die einen arm und die anderen reich macht, ein junges Mädchen spurlos verschwindet. Man schickt den Ermittler Vogel los, um den Fall zu lösen.

Die Geschichte wird aus mehreren Sichten erzählt und fesselt den Leser gekonnt. Die Handlung beginnt mit dem Psychiater Flores, bei dem Vogel zweiundsechzig Tage nach Anna Lous Verschwinden mit blutverschmiertem Hemd sitzt. Dann werden wir - niemals chaotisch - durch die Zeiten geworfen und mit anderen Personen bekannt gemacht. Das Geschick, mit dem Donato Carrisi zwischen den einzelnen Kapiteln, Zeiten und Charakteren wechselt, kann man nur als meisterhaft beschreiben. 

"Der Kriminalbeamte, der hinter Ihnen her ist, heißt Vogel. Ich würde ihn nicht gerade als erstklassigen Ermittler oder gar Spürhund bezeichnen. Er hat keine große kriminologische Befähigung, und Dinge, wie kriminaltechnische Beweismittel, DNA und so weiter, interessieren ihn nicht. Er ist einer, der sich der Medien bedient, um ans Ziel zu gelangen."

Und genau das - genau dieser Protagonist und dessen hervorstechendster Charakterzug - macht das Buch so besonders und meines Erachtens nach wichtig. Vogel ist zwar ein ziemliches Arschloch, doch in seiner Genialität auch recht bewundernswert. Ich schwankte zwischen Zu- und Abneigung, die sich gegen Ende des Buches in so etwas wie Liebe verwandelte.

"Ausgelöst wurde sie von einem kleinen O, mit Kuli auf einen linken Unterarm gemalt. Als ich die Stelle zum ersten Mal in Anna Lous Tagebuch las, dachte ich nicht an den armen Oliver. Erst später ist er mir wieder in den Sinn gekommen. Dieser Junge hat etwas verloren. Er genauso wie die anderen - ihre Familie und alle, die sie kannten."

Borghi, der junge Polizist, der ihm zur Seite gestellt wird, ist unbedarft und leichtgläubig, was ihn sympathisch hätte machen können, wären da nicht die Gedanken bezüglich seiner Frau, die mich nur den Kopf schütteln ließen. Er war sehr unleidlich, was ich ebenfalls als einen Meisterstreich des Autors, weil jeder andere eine gänzlich andere Figur aus ihm gemacht hätte.

Etwas später kommt dann noch ein weiterer Point of View hinzu, über den ich nicht zu viel verraten möchte. Ihr seht: Ihr müsst diesen Roman unbedingt zur Hand nehmen!

Donato Carrisi schafft es tatsächlich, dass man alles hinterfragt, jede Aussage anzweifelt und jeden Menschen verdächtigt. Er verschweigt nichts, sagt aber auch nicht alles. Ein sehr gekonnter Kniff, um den Leser in seinen Bann zu ziehen und in Atem zu halten, bis sich auf der letzten Seite alles auflöst und man das Buch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zuklappt.

Es sind die Bösen, die eine Geschichte ausmachen. Denkt daran: Es ist der Schurke, der die Mittelmäßigkeit annehmbarer mach, er ist es, der die Geschichte ausmacht.

Das Interessante für mich war allerdings, dass ich ab einem gewissen Zeitpunkt des Rätsels Lösung klar vor Augen hatte und dennoch für keine Sekunde das Interesse verloren habe oder das Buch zur Seite legen konnte. Ich war bloß entsetzt und auch etwas stolz auf mich, da Carrisi ein Meister des Versteckspiels ist und ich ihn dennoch entlarven konnte. Ich habe das Buch sofort an meinen Freund weitergereicht, mit dem Befehl, es zu lesen. Er wiederum hat die kleinen Anzeichen nicht bemerkt, also kann ich euch beruhigen und euch sagen, dass jeder von euch anders mit den Hinweisen umgehen wird, aber jeder sein höchstes, bedrückendes Vergnügen erleben wird.

Das Leben hinter Gittern wurde in allen Einzelheiten durch Formulare, Vorschriften und Zustätze geregelt. Jede Entscheidung war bereits von jemand anderem getroffen worden, und um persönlichen Kontakt auf ein Minimum zu beschränken, wurde jede Handlung standardisiert und vorgegeben. Entmenschlicht. Auf diese Weise gab es keinen Spielraum für Emotionalität, Mitgefühl oder Verständnis. Man war allein mit sich selbst und seiner Schuld.

'Der Nebelmann' ist sehr gesellschaftskritisch. Die Sensationsgier und eine ganze Reihe anderer menschliche Schwächen werden angeprangert und man fühlt sich des ein oder anderen Verbrechens selbst schuldig. In diesem Werk messen alte und neue Meister des Metiers ihre Kräfte miteinander, verwoben in einem perfiden Spiel, das seine Opfer fordern wird. Für mich war das Buch ein absolutes Highlight, das mich mehrere Tage lang nicht losgelassen hat und sofort weitergereicht wurde, was bei mir selten passiert. Mir ist oft der Atem weggeblieben, während ich vor Schock Augen und Mund aufgerissen habe und mein Herz wie verrückt klopfte.



Was es sonst noch zu sagen gibt

 

Eine kleine Sache muss ich zur deutschen Titelwahl loswerden. Im Original heißt das Buch La ragazza nella nebbia - Das Mädchen im Nebel. In Anbetracht folgenden Zitates aus dem Werk kann ich nur hoffen, dass der deutsche Titel 'Der Nebelmann' ironisch gewählt worden ist. Etwas unpassend finde ich ich dennoch.

"Ted Bundy, Jeffrey Dahmer, Andrei Tschikatilo ... Wir erinnern uns an die Namen der Täter, aber kaum jemand weiß noch die der Opfer. Haben Sie sich mal gefragt, warum? Es sollte doch eigentlich umgekehrt sein. Wir behaupten, Mitleid mit den Ermordeten zu empfinden, Mitgefühl, doch dann vergessen wir schnell. Achten Sie mal darauf ..."



Ein paar Worte zum Autor


 

Donato Carrisi, geboren am 25. März 1973 in einem Dorf in Apulien, lebt in Rom. Er studierte Jura und spezialisierte sich in Kriminologie und Verhaltensforschung. Nach einer kurzen Tätigkeit als Anwalt arbeitet er heute als Drehbuchautor für Kino und Fernsehen. Sein von der italienischen Presse hochgelobter Thriller »Der Todesflüsterer« wird derzeit in elf Sprachen übersetzt und schoss direkt nach Erscheinen weit nach oben auf die Bestsellerlisten.


Bewertung und mein Fazit

 

Ein Meisterwerk, das einem den Atem raubt und vor Entsetzen. Es ist ein Kräftemessen zwischen Gut und Böse, wobei man nicht unterscheiden kann, wer auf welcher Seite steht. Kurz gesagt ist 'Der Nebelmann' ein echtes Highlight, das viele aktuelle Themen und Problematiken anspricht.



 

Thriller, Gesellschafts- und Medienkritik vom Allerfeinsten!

Ein Buch, das man gelesen haben muss!



2 Kommentare:

  1. Huhu :D

    Da musste ich doch direkt mal bei deiner Rezension dazu stöbern. Ich fand das Buch auch echt genial, vor allem dass man bis zum Schluss nicht wusste, wer denn nun gut und wer böse ist. Echt genial gemacht vom Autoren! :D

    Liebe Grüße
    Jessi

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    1. Hey *lach*

      Schön, dass du noch mal vorbeigeschaut hast :D

      Ja, dieses Buch war mein Jahreshighlight 2017. Carrisi hat ganze Arbeit geleistet :)

      Liebe Grüße!

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